Wasseranwendungen nach Pfarrer Kneipp
Wenn wir von Wasseranwendungen reden, dann meinen wir die äußerliche Anwendung von Wasser oder Wasserdampf. Wir verwenden es als Speicher thermischer Energie, also Kälte oder Wärme. Damit nehmen wir Einfluß auf unser vegetatives Nervensystem, auf die lokale Durchblutung und das gesamte Kreislaufsystem, auf die Haut und über hier liegende Reflexzonen auf die inneren Organe und auch auf das Immunsystem und die hormonellen Systeme. Wann wende ich nun kaltes und wann warmes Wasser an?
Wirkung der Kaltreize
In den Lehren von Pfarrer Kneipp dienen Wasseranwendungen dazu, um die Regulationsfähigkeit des gesamten Organismus mit den oben genannten Systemen zu verbessern. Das Prinzip ist einfach: ein Kältereiz an der Haut führt zur Stimulierung besonderer Kälterezeptoren und zu einem Zusammenziehen der örtlichen Blutgefässe und in der Folge zu deren Erweiterung. Das hat eine verstärkte Durchblutung des betroffenen Areals und dadurch eine Erwärmung zur Folge hat. Voraussetzung dafür ist, dass der Kältereiz nur kurz, Sekunden, anhält. Wird der Kältereiz zu viel und zu lange angewendet, kommt es zur längeren Unterkühlung der Region und eine Wiedererwärmung ist allein durch Weglassen des Kältereizes nicht mehr möglich. Bei regelmäßiger Anwendung entsteht ein Trainingseffekt. Extrembeispiel sind die Eisbader im Winter! Häufige Wiederholungen mit langsamer Steigerung der Reizstärke führen unter anderem zu einer Regulation des vegetativen Nervensystems mit verbesserter Streßtoleranz, der Muskelspannung, der Durchblutung und zu einer verbesserten Reaktionsfähigkeit des Immunsystems.
Einfachste Anwendungsindikation wären zum Beispiel chronisch kalte Füße. Dabei gilt aber eine wichtige Regel: Kälteanwendungen dürfen ausschliesslich auf warmer Haut angewendet werden. Es nützt nicht, wenn wir mit kalten Füßen in einen Gebirgsbach steigen! Um die Füße, um im Beispiel zu bleiben, vor der Kälteanwendung zu erwärmen, könnte ein kurzer Spaziergang, Seilhüpfen oder Treppensteigen hilfreich sein. Dann folgt die Kaltwasseranwendung. Danach sollten die Füße nicht abgetrocknet werden, sondern für den besseren Effekt mit feuchten Füßen zurück in die Socken und Schuhe und gleich wieder in Bewegung kommen. Tritt dann ein wohlig-warmes Gefühl an den Füßen ein, ist das Ziel erreicht.
Voraussetzung zur Anwendung von Kältereizen ist also eigene Körperwärme. Schaffen wir es nicht aus eigener Kraft, den betreffenden Körperteil zu erwärmen, erzielt ein Kaltreiz nicht die gewünschte Wirkung, sondern kühlt uns nur aus. Am einfachsten ist es, wenn man die Bettwärme ausnutzt und den Kaltreiz morgens direkt nach dem Aufstehen oder sogar noch im Bett liegend anwendet. Mobile Menschen sollten sich danach sofort bewegen und dadurch erwärmen, immobile Menschen wie zum Beispiel ältere, schwer kranke oder gehbehinderte Personen, legen sich gleich wieder zurück ins noch warme Bett.
Kaltreize sind zur langfristigen Verbesserung der Eigenregulation geeignet. Für alle hier genannten Kaltreize gilt eine Wassertemperatur von 10-14 Grad Celsius. Wer wärmeres Leitungswasser hat, behilft sich mit einer Gießkanne und dem kalten Wasser zugefügten Eiswürfeln!
Methoden für Warmreize
Wir können Wärme- und Kaltreize anfangs kombinieren, solange unser Körper es noch nicht schafft, schnell genug auf Kaltreize zu reagieren. Hier hilft zum Beispiel ein heisses Fußbad für wenige Minuten, was immer mal wieder durch sekundenlange Kaltreize unterbrochen wird, bzw. Wechselduschen im selben Verhältnis. Kommt es nach dem letzten Kaltreiz nicht zur Wiedererwärmung, schliessen wir die Serie mit einem Wärmereiz ab. Als wichtigste Regel gilt: nach der Anwendung sollten wir nicht frieren oder länger als wenige Minuten kalte Füße haben!
Eine weitere Anwendung eines Wärmereizes ist das Kopfdampfbad bei akuten Erkältungen bzw Kältegefühlen im Kopfbereich. Dies erwärmt den unterkühlten Bereich und beugt Erkältungskrankheiten vor.
Bei gerade beginnenden Erkältungen ist ein heißes Fussbad sehr hilfreich, evtl noch unterstützt durch die Zugabe gemahlener schwarzer Senfsamen ins Wasser. Doch Vorsicht, dieser Zusatz kann zu Hautreizungen bis zu Verbrennungen führen, wenn man zu hoch dosiert oder zu lange anwendet.
Als nächstes möchte ich die Wärmeanwendung bei Muskelverspannungen erwähnen. Hier hilft Wärme oft besser entspannend als jedes Schmerzmedikament! Es gibt verschiedene Anwendungsmethoden, ein heißes Teil- oder Vollbad, Wärmeauflagen in Form von Wärmflasche oder Kirschkernkissen oder auch die Anwendung der heißen Rolle, die allerdings nicht allein angewendet werden kann und einiger Übung bedarf. Die heiße Rolle kann auch bei akuten Stresszuständen zur Beruhigung des vegetativen Nervensystems eingesetzt werden.
Wärme hilft auch gegen Bauchkrämpfe und Blasenentzündungen, am besten in Form einer Wärmflasche.
Bei allen Wärmeanwendungen gilt: Vorsicht vor Hautschäden durch zu heißes Wasser oder zu lange Anwendung!
Durchführung der Kaltreize
Für einen bisher unerfahrenen „Kneippianer“ empfehle ich, mit Tautreten oder Wechselduschen zu beginnen. Schnell kann dabei jeder seine individuell benötigte und erträgliche Reizstärke erkennen.
Bei der Wechseldusche würde ich mir eine Gießkanne mit kaltem Wasser neben die Dusche stellen. Nach warmer Dusche gießen wir das kalte Wasser über die Unterschenkel, beginnend am rechten Fuß, erst hier außen bis zum Knie, dann innen bis zum Knie, dann hinten, dann das andere Bein entsprechend. Dann wieder heiß abduschen. Der Vorgang kann mehrmals wiederholt werden, abschließend sollte immer heißes Wasser angewendet werden.
Wer die Möglichkeit zum Tautreten hat, kann damit ab dem Frühling beginnen. Man geht mit warmen nackten Füßen einige Schritte durch das taunasse Gras, bis die Füße sich kalt anfühlen. Das geschieht anfangs sehr rasch. Dann zieht man sich mit noch feuchten Füßen Socken und Schuhe an und geht rasch eine Runde, bis die Füße wieder warm sind. Tautreten sollte am besten täglich wiederholt werden, im Verlauf kann die Anwendungsdauer dann auch verlängert werden.
Wer „mehr“ will und auch aushält, kann täglich morgens kalte Kniegüsse ohne wärmende Dusche anwenden. Am besten geht man auch hier direkt nach der Anwendung aus dem Haus und bewegt sich bis zur Wiedererwärmung der Füße. Die Güsse können dann bis zur Hüfte oder sogar bis zum Bauchnabel erweitert werden. Für besonders abgehärtete kann auch ein Oberguß erfolgen, also der Wasserguss über den Rücken vom Hals abwärts. Dabei ist zu beachten, dass hier nicht nur die übliche Wassermenge aus einem Duschkopf benutzt werden soll, sondern eine kompakte Wassersäule wie zum Beispiel aus einer Gießkanne. Oder man schraubt den Duschkopf ab und nimmt den Wasserstrahl direkt aus dem Schlauch.
Wer unterwegs ist oder auch eine Wassertretanlage in der Nähe hat, kann auch hier die Kaltwasseranwendung an den Beinen nutzen. Dazu ist knietiefes Wasser mit gutem Halt für die Füße geeignet, zum Beispiel ein kalter See oder ein flacher Bach oder eben ein Kneipp-Becken. Dabei geht man einige Sekunden bis zum deutlichen Kälteempfinden an den Beinen durch das kalte Wasser. Idealerweise hebt man bei jedem Schritt das Bein aus dem Wasser, damit ein Wechsel zwischen kaltem Wasser und wärmerer Luft entsteht. Dadurch kommt es zu dem sehr typischen und charakteristischen „Storchengang“.
Sehr erfrischend und belebend ist auch das Armbad oder der Armguß. Dabei taucht man die nackten warmen Arme komplett für mehrere Sekunden in ein Kaltwasserbecken oder gießt kaltes Wasser, beginnend an den Händen, bis zur Schulter über beide Arme.
Bitte vergessen Sie keinesfalls die allseits bekannten Wadenwickel! Man verwendet hierbei in lauwarmes Wasser getränkte Tücher, die man fiebernden Patienten um die Waden wickelt, während sie im Bett liegen. Das führt zu einem Absenken der Temperatur und oft benötigt man dann keine fiebersenkenden Medikamente. Auch hier gilt: die Anwendung ist nur erlaubt, wenn Füße und Waden warm bzw. heiß sind! Die Wickel werden alle paar Minuten erneuert, um wieder Wärme aufnehmen zu können, bis die Körpertemperatur sinkt. Wadenwickel eignen sich auch für die Anwendung bei Kindern.
Nun noch eine Anwendung für sehr motivierte, aber sehr geschwächte Personen, für die die bisherigen Anwendungen zu stark sind. Es gibt die Möglichkeit, im Bett liegend Waschungen durchzuführen. Dabei werden mit einem in kaltes Wasser getauchten und gut ausgewrungenem Waschlappen die Arme, Beine oder auch der Rumpf abgerieben. Man fährt dabei leicht mit dem feuchten Lappen über die Haut. Danach bleibt die Haut leicht feucht und wird rasch wieder von der noch warmen Bettdecke bedeckt. Wir beginnen die Anwendung erstmal nur an den Armen oder Beinen und beobachten den Effekt. Keinesfalls soll dadurch ein dauerhaftes Kältegefühl oder Frösteln entstehen.
Durchführung der Warmreize
Kopfdampfbad: in einer Schüssel wird ein Löffel Kochsalz (ca. 1 Teelöffel pro Liter Wasser) mit kochendem Wasser übergossen. Zusätzlich können 3-5 Tropfen ätherischer Öle (Teebaumöl, Minzöl, …) zugegeben werden. Man setzt sich an einen Tisch, die Schüssel vor sich mit dem Kopf über der Schüssel. Darüber kommt ein großes Handtuch, um den Wasserdampf einzufangen. Anfangs bitte Vorsicht, dass Sie sich nicht verbrühen, es sollte zu Beginn der Anwendung noch ein wenig Frischluft zugelassen werden. Der Dampf sollte sich nun um den ganzen Kopf verteilen. Er wirkt sowohl durch das Einatmen direkt an den Schleimhäuten im Kopfbereich, aber auch äußerlich erwärmend an der Stirnhöhle, den Kieferhöhlen, an den Ohren bzw Gehörgängen, aber auch durch die Wärme entspannend auf die Nackenmuskeln. Die Einwirkung wird so lange fortgesetzt, wie sie angenehm ist und kann auch mehrmals täglich wiederholt werden.
Heißes Fußbad: in eine ausreichend große Schüssel (Das Wasser sollte idealerweise bis unter die Knie reichen!) geben wir ca 33 Grad warmes Wasser und stellen die Füße hinein. Am bequemsten ist das Fußbad im Sitzen. Nun gießen wir alle 1-2 Minuten heißes Wasser dazu, sodass die Wassertemperatur im Verlauf einiger Minuten bis über 40 Grad ansteigt. Wenn wir uns gut durchgewärmt fühlen und evtl sogar beginnen leicht zu schwitzen, beenden wir das Fußbad. Da es entspannend und ermüdend wirkt, wendet man es am besten abends vor dem Schlafengehen an.
Lokale Wärmeanwendungen: eine Wärmflasche oder ein anderer Wärmeträger wie zum Beispiel ein Kirschkernkissen oder eine Heizdecke werden auf den betroffenen Bereich aufgelegt, bis dieser gut erwärmt ist. Dabei sollte zumindest bei Wärmflasche und Kirschkernkissen immer ein Handtuch zwischen der Wärmequelle und der Haut platziert werden, um Verbrennungen zu vermeiden. Vor Auflage bitte unbedingt Temperatur prüfen, im Zweifel die Wärmflasche noch etwas abkühlen lassen! Es gibt leider sehr viele Menschen mit rötlichen Wärmflasche-Mustern auf der Haut, die nie wieder weggehen!
Die Anwendung der heißen Rolle bleibt geschultem physiotherapeutischem Fachpersonal vorbehalten, da wegen der Verwendung von kochendem Wasser die Gefahr von Verbrennungen groß ist! Die Anwendung sollte jedoch in jeder physiotherapeutischen Praxis möglich sein.
Heißes Teil- oder Vollbad: ein Teilbad bedeutet, dass man nur im heißen Wasser sitzt, ein Vollbad, dass man bis zum Hals darin liegt. Vorsicht hier bei Kreislaufproblemen und Neigung zu niedrigem oder hohem Blutdruck. Wer ein Vollbad deshalb nicht verträgt, sollte besser lokale Wärmeanwendungen bevorzugen. Gerade bei akuten Erkältungskrankheiten rate ich wegen der Kollapsgefahr bei absinkendem Blutdruck durch das heiße Wasser von Vollbädern ab!
Indikationen für Warmreize
Kopfdampfbad:
bei akuten Verkühlungen des Kopfes mit fehlender spontaner Wiedererwärmung, zum Beispiel nach längerer Wind- oder Kälteexposition. Dies kann zu einer lokalen Neuralgie des Trigeminus-Nervs oder anderer lokaler Hautnerven im Gesicht führen, was äusserst schmerzhaft sein kann. Ein baldiges Kopfdampfbad kann hier vorbeugend wirken. Auch kann es dadurch Erkältungen, Nebenhöhlenentzündungen und sogar Mittelohrentzündungen verhindern.
bei Erkältung mit Schnupfen kann es schleimlösend und abschwellend wirken und auch bei Nebenhöhlenentzündungen Schmerz lindern
bei Muskelverspannungen und Kältegefühl im Schultergürtel und Nackenbereich kann es entspannend wirken
Heisses Fußbad:
bei beginnender Erkältung wärmt es sehr schön durch. Wenn man sich danach sofort und noch gut durchgewärmt ins Bett legt und ggf noch eine Tasse heißen Tee trinkt und lange schläft, verhindert das in vielen Fällen einen Erkältungsausbruch.
bei Einschlafstörungen, zur abendlichen Entspannung und abends chronisch kalten Füßen (überbrückend, bis die Kälteanwendungen funktionieren 😊)
Lokale Wärmeanwendungen bei:
schmerzhaften Verspannungen am Bewegungsapparat
Stresszuständen
Bauchkrämpfen
Blasenentzündung
Bronchitis (dann die Wärme aber am Rücken, nicht über dem Herz platzieren!)
Indikationen für Kaltreize
Kaltreize an den Beinen bis zum Becken wirken langfristig beruhigend auf den Gesamtorganismus. Sie führen zu einer langsamen Steigerung des Parasympathikotonus und somit langfristig zu einer besseren Streßtoleranz.
Kaltreize an den Armen und am Oberkörper wirken eher belebend und erfrischend. Deshalb sind sie nur in geringer Intensität für Herzpatienten geeignet. Dann können sie aber zu einer Vertiefung der Atmung und einer besseren Kreislaufregulation führen und gerade funktionelle Herzbeschwerden günstig beeinflussen. Kaltreize am Oberkörper sind bei Lungenerkrankungen wie zum Beispiel chronische Bronchitis oder Asthma bronchiale ungeeignet, da sie zu plötzlichen Asthmaanfällen führen können. Armbäder oder Güsse können hier jedoch langsam hochdosiert zu einer Vertiefung der Atmung und Entspannung der Oberkörpermuskulatur führen.
Grundsätzlich sind Oberkörpergüsse sehr starke Reize und sollten anfangs nur in Form von Wechselgüssen angewendet werden. Hier bitte nicht die Wirkung einer „kalten Dusche“ mit der Wirkung eines Gusses vergleichen. Die Wirkung der Dusche ist sowohl durch den Perlator und die meistens nicht ausreichend tiefe Wassertemperatur nicht sehr stark im Vergleich zum „echten“ Guß.
Kaltreize an Armen und Beinen sollten nie gleichzeitig oder direkt nacheinander angewendet werden, es sollten mindestens 2 Stunden Abstand eingehalten werden, um die Wirkungen auf das vegetative Nervensystem nicht abzumildern.
Kaltreize am Unterkörper und den Beinen sollten von Frauen während der Monatsblutung nicht angewendet werden.
Die Waschungen im Bett eigen sich vor allem bei chronischen Erkrankungen, auch bei akuten fieberhaften Erkrankungen und bei zum Beispiel Post-Covid und Chronic Fatigue, wenn andere Reize zu stark sind.
Wer die genannten Methoden gerne mal ausprobieren möchte, dann nichts wie los! Wer gerne nochmal eine praktische Anleitung erhalten möchte oder auch Tautreten oder Wassertreten in der Gruppe probieren möchte, sollte sich an seinen örtlichen Kneipp-Verein wenden. In fast jeder Region finden Sie einen Kneipp-Verein, der Kurse und Übungen zu den Wasseranwendungen anbietet.